Der harte Kampf gegen Hunger und Not

Nicht nur unser Dorf, sondern das gesamte Einzugsgebiet des Bütgenbacher Hofes war in früheren Jahren sehr arm. Insbesondere lag dies daran, daß wir wie von der "großen" Welt abgeschnitten waren. Es gab keine Autos, die meisten Strecken mußten zu Fuß zurückgelegt werden. Deshalb begnügte man sich mit dem, was man hatte. Es wurden keine großen Ansprüche gestellt, ein jeder war zufrieden mit seinem Los. Einige entscheidende Ereignisse sorgten Mitte und Ende des 19. sowie Beginn des 20. Jahrhunderts dafür, daß der Lebensstandart der Bevölkerung hierzulande deutlich angehoben wurde. Es handelte sich hierbei um die Erfindung des Kunstdüngers, die Einführung der Eisenbahn und den Bau der Talsperre.

Der deutsche Chemiker Justus Freiherr von Liebig (1803-1873) war es, der diese positive Entwicklung einläutete. Mit dem von ihm erfundenen künstlichen Düngemittel führte er dem ländlichen Boden wichtige Stoffe zu, um dessen Erschöpfung zu vermeiden. Durch die angebauten Pflanzen wurden dem Boden Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphorsäure, Kali und teilweise auch Kalk entzogen, die durch die natürliche Düngung mit Stallmist, Jauche, Kompost und Fäkalien nur unzureichend wieder zugeführt wurden. Durch die Kunstdüngung erreichte man eine erhebliche Verbesserung des physikalischen Bodenzustands und somit eine qualitative und quantitative Steigerung der ländlichen Produktion.

Mit der Einführung der Eisenbahn im Jahre 1885 und ihrer Anlaufstelle am Bütgenbacher Bahnhof rückten auch die Großstädte bedeutend näher. Jetzt waren es nicht mehr nur die Fuhrleute, die für damalige Begriffe enorm weite Strecken zurücklegen konnten. Alles war plötzlich viel näher gerückt. Jetzt konnte man auch in Erwägung ziehen, mit dem Zug nach Aachen oder anderen Orten zur Arbeit zu fahren. Heute, wo sich in jedem Haus ein Auto befindet, kann man sich kaum noch vorstellen, wie bedeutend dieses Ereignis für Händler und Arbeiter, ja, für die gesamte Menschheit war.

Auch die Anlegung der Talsperre führte, wenn auch kurzfristig, zu einem gewissen Maß an Wohlstand. Hier fanden viele Bewohner aus Berg-Bütgenbach und den umliegenden Ortschaften durch harte Arbeit einen guten Nebenverdienst an der Seite italienischer Vorarbeiter.

Vielleicht noch bedeutender als die kurzfristigen Verdienstmöglichkeiten bei all diesen innovativen Neuerungen dürfte wohl die langsame und kontinuierliche Änderung der Mentalität der Menschen gewesen sein, die daraufhin eintrat. Nachdem man früher sein bescheidenes und zufriedenes Dasein innerhalb der eigenen vier Wände fristete, wurde die Bevölkerung ab dieser Phase wesentlich aufgeschlossener für das Leben in den umliegenden Dörfern und Städten. So geht man heute mitunter berufliche Verpflichtungen ein, die früher nicht einmal denkbar gewesen wären.

Bevor unser Gebiet jedoch auf die Bahnen des Fortschritts geleitet wurde, herrschten arme Verhältnisse. Pastor Kratz, der als bettelnder Pastor in die Geschichte der Pfarre Bütgenbach einging, appellierte mit einem Notstandsbericht an die Aachener Zeitung "Echo der Gegenwart" am 20. Mai 1883 zur auswärtigen Hilfe.

Augrund von fünf aufeinanderfolgenden Mißernten war der Preis der Häuser und Ländereien um 50 Prozent gesunken, während die Hypotheken und Privatschulden ständig anstiegen. Die Menschen hungerten ...

Angesichts dieser Armut handelte Pfarrer Kratz, indem er in Bütgenbach, Berg, Nidrum und Weywertz Suppenanstalten für Kinder, schwache Frauen und Betagte einrichtete. In Berg kamen damals von insgesamt 147 Einwohnern täglich 35 Personen zum Pfarrer, um sich wenigstens einmal am Tag satt zu essen. Der wöchentliche Speiseplan war zwar bescheiden, aber dennoch sehr nahrhaft. Küche und Bedienung besorgten die Mitglieder der Erzbruderschaft der "christlichen Mütter".

Wöchentlicher Speiseplan in der Suppenanstalt

  • Montag: Erbsensuppe
  • Dienstag: Erbsen-Reissuppe mit Fleisch
  • Mittwoch: Bohnensuppe
  • Donnerstag:  Bohnen-Reissuppe mit Fleisch
  • Freitag: Gerste oder Reis mit Milch
  • Samstag: Erbsensuppe
  • Sonntag: Bohnen-Reissuppe mit Fleisch

Die Verteilung von 30.000 Pfund Pflanzkartoffeln, die der rührige Pfarrer eines Tages aus Sachsen erhielt, beschäftigte ihn mitunter mehr als die Seelsorgearbeit.

Allerdings wußte Pfarrer Kratz auch, daß all seine Bemühungen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein waren. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Eifeler und die Beschaffung neuer, lohnender Erwerbsmittel galt es, unbedingt anzustreben. Dies sollte dann in den darauffolgenden Jahren geschehen. Der Seelsorger, der sich ganz in den Dienst der Bevölkerung gestellt hatte, ahnte vielleicht noch den bevorstehenden Aufschwung, als er kurz vor seinem Tod die Einführung der Eisenbahn miterlebte.