Der Bütgenbacher See
Der Bütgenbacher See liegt zum Teil auf Ländereien von Berger Landwirten. Als man in Erwägung zog, einen See anzulegen, mußten die betroffenen Landwirte ihre Felder, die hierfür benötigt wurden, durch Gemeinderatsbeschluß zu einem festgelegten Preis an die damalige Stromerzeugungsgesellschaft SERMA (später Esma, Unerg, Electrabel) abtreten.
Wenngleich man den See heute in erster Linie unter touristischen Aspekten betrachtet, so war dies dennoch in keinster Weise ein Beweggrund zu seiner Anlegung. Grundlegend hierfür waren nämlich Studien, die im Auftrag der Brüsseler Gesellschaft SOFINA über den Verlauf der Warche erstellt worden waren.
Die Warche, die den Bütgenbacher See speist, mündet in die Amel, die ihrerseits in die Ourthe mündet. Sie entspringt im Hohen Venn in einer Höhe von ungefähr 650 Metern und fließt dann Richtung Malmedy, das nur noch 330 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Auf dieser Strecke kann man einen für Belgien höchstmöglichen Wasserfall von 154 Metern erreichen. Um jedoch den Wasserfluß der Warche zu regularisieren, war es unumgänglich, ein Auffangreservoir anzulegen. Die Kapazität der Talsperre in Robertville erwies sich hierzu mit 8,2 Millionen Kubikmeter allerdings als zu gering. Deshalb wurde gleich zu Beginn ein weiteres Reservoir von 11 Millionen Kubikmeter auf einer Fläche von 125 Hektar in Bütgenbach vorgesehen.
Die Bauarbeiten begannen im Jahre 1929 unter der Regie des italienischen Unternehmens OMODEO, und so manch einer mag sich damals die Frage gestellt haben, wieso gerade diese Firma mit dem Bau beauftragt wurde. Um die Antwort zu finden, bedarf es eines kleinen Abstechers in die Landeshauptstadt...
Das Brüsseler Unternehmen SOFINA, die Finanzierungsgesellschaft der damaligen SERMA, führte Mitte der zwanziger Jahre auf europäischer Ebene einen Wettstreit durch, in dem es darum ging, einen Projektentwurf für die Anlegung von drei Stauseen in Robertville, Bütgenbach und Remouchamps anzufertigen. Die Firma OMODEO gewann mit ihrem Entwurf diesen Wettbewerb und sicherte sich gleichzeitig die Direktion der Bauarbeiten im Falle der Projektrealisierung zu. Damals genoß OMODEO einen weltweiten Ruf. Die Mailänder Firma hatte sich auf den Bau von Staumauern und hydro-elektrischen Einrichtungen spezialisiert.
Als die Italiener dann mit kompletter Chef-Equipe unter der Leitung des Ingenieurs Spagnoletti die Arbeiten begannen, schien alles seinen normalen Gang zu gehen. Viele Gemeindebewohner fanden hier eine Möglichkeit, sich einen guten Nebenverdienst zu sichern. Aber innerhalb der Firma brodelte es.
Torniotti, der schon bei den Bauarbeiten in Robertville mit von der Partie gewesen war, wollte unbedingt hauptverantwortlicher Direktor über die Arbeiten sein. Aus diesem Grund und wohl auch aus Unzufriedenheit wegen seiner Position, intrigierte er gegen Spagnoletti, indem er qualitativ schlechten Beton herstellte. Der Schwindel flog auf, weil Betonproben, die von der Brücken- und Straßen Verwaltung durchgeführt wurden, ein unbefriedigendes Resultat ergaben. Daraufhin mußte ein Teil der bereits erstellten Betonfundamente wieder abgetragen werden. Spagnoletti kündigte nach diesem Vorfall.
Bensoni übernahm seinen Posten und beauftragte den 18jährigen Pierino Slavazza, der Chef für Topographie und Landschaftsvermessungen war, mit der Überwachung der weiteren Bauarbeiten. Slavazza wurde trotz seines jugendlichen Alters das Vetorecht eingeräumt, womit er bei eventuell konstatierten Problemen zu jeder Zeit die Arbeiten stoppen konnte, bis Bensoni diese wieder freigab. Als Slavazza ein erneutes Fehlverhalten von Torniotti feststellte, machte er von seinem Vetorecht Gebrauch und infolgedessen wurde Torniotti fristlos entlassen.
Beim Bau der Bütgenbacher Staumauer war absolute Qualität gefragt, weil die Mauern unten nur 80 und oben nur 40 cm breit sein sollten. Aus diesem Grunde konnte man auch die örtlichen Steine nicht hierzu verwenden, weil deren Qualität unzureichend war. Deshalb beschränkte man sich auf Maaskies und Rheinsand. Das Material wurde mittels der Eisenbahn angeliefert, weil sich der Bütgenbacher Bahnhof damals in unmittelbarer Nähe der Baustelle befand. Zum Transport dieser Materialien von Bütgenbach nach Berg wurde gleich zu Beginn der Bauarbeiten eine Holzbrücke aufgerichtet, um die Warche zu überqueren.
Bis zu 200 Arbeiter waren an manchen Tagen an den Bauarbeiten beteiligt, und ein junger Italiener mußte sein Leben lassen, als er von dem obersten Mauernteil in die Tiefe stürzte. Dies sollte jedoch der einzige Unfall mit tödlichem Ausgang bleiben.
Allerdings sorgte ein letztes großes Problem noch für eine weitere Verzögerung in den Arbeiten. Als man sich nämlich Richtung Berg vorarbeitete, stellte man fest, daß der Felsen im letzten Teilstück zu schwach war, um das Bauwerk zu tragen. Aus diesem Grunde mußte man nach hinten hin ausweichen und unmittelbar vor dem Ende eine Kurve im Brückengang einbauen.
Im Jahre 1932 wurde der Bau der Staumauer fertiggestellt und nur ein Jahr später die Stromerzeugungszentrale in Betrieb genommen. Keine Ansiedlung fiel dem entstehenden oder zu befürchtenden Wasserstrudel zum Opfer. Allerdings mußten bei der Erbauung mehrere Wege umgelegt werden. Die Hauptzufahrtsstraße von Bütgenbach nach Berg wurde umgeleitet und auch der Weg, der direkt vom Bahnhof über das Seegelände nach Berg führte, wurde durch eine neue Straße, die zum Brückenübergang führte, ersetzt.
Neben der eigentlichen Stromerzeugungszentrale befindet sich ein hydroelektrisches Werk unterhalb zweier Gewölbe. Ein Gebäude dient als Maschinenraum und im anderen sind Transformatoren und elektrische Ausstattungsteile gelagert. Die jährliche Stromerzeugung in der Bütgenbacher Zentrale beläuft sich auf 2 Millionen kWSt. und erfolgt völlig automatisch. Eine ständige Überwachung geschieht lediglich durch den Angestellten von Electrabel, der im Wächterhaus, das sich auf den Burgruinen befindet, wohnt.
Der in Berg erzeugte Strom gelangt über eine 15000-Volt-Linie in die Stromzentrale nach Beverce. Ein Teil des Stroms wird jedoch direkt ins Verteilernetz der Kantone Malmedy und Sankt Vith sowie der Umgebung Francorchamps bis hin nach Bastogne eingespeist.
Die Talsperre von Bütgenbach wurde übrigens nach einer besonderen Technik errichtet. Elf Gewölbe halten die Mauer des Wasserreservoirs, um deren Standfestigkeit zu garantieren.
Kurz nach Fertigstellung der Staumauer und des Stausees fanden bis auf einige Fischer kaum Touristen den Weg nach Bütgenbach. Das sollte auch noch bis zur Einführung des bezahlten Urlaubs, kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, andauern. Die Fischer kehrten nach dem Krieg wieder zurück; sie brachten ihre Zelte mit und campten in freier Natur. Doch auch jetzt reagierten die örtlichen Behörden nicht. Der Touristenstrom wurde immer größer. Manche blieben sogar einen ganzen Monat lang vor Ort. Deshalb entschied der Verkehrs verein 1955, alleine schon aus hygienischen Gründen, eine mit Duschen, Umkleidekabinen und Toiletten ausgerüstete Hütte zu bauen.
1958 organisierte der Belgische Touring Club dann anläßlich der Weltausstellung in Brüssel eine Camping-Rallye. Tausende Camper zogen nach Bütgenbach, wo die bestehenden Camping-Plätze nicht ausreichten, um den Touristenstrom bewältigen zu können. So vermieteten viele Landwirte Wiesen, um allen Gästen die Möglichkeit zu bieten, ihr Zelt aufzubauen. Die Bedingungen waren alles andere als ideal. Doch eins hatte die Camping-Rallye mit Sicherheit erreicht: Bütgenbach war plötzlich in aller Munde !
1968 beschloß der Belgische Staat, ein ADEPS-Sportzentrum an einem See zu bauen. Hierfür kamen fünf Stauseen in die engere Wahl : Eupen, Gileppe, Robertville, Bütgenbach und Nisramont. Daß die Entscheidung letztendlich auf Bütgenbach fiel, war unter anderem dem herrlichen Naturumfeld zu verdanken. Außerdem mußten hier keine mehrere Hektar große Waldflächen gerodet werden, um eine entsprechende Infrastruktur zu bauen. So konnte sich der Tourismus entfalten und Bütgenbach wurde nach Malmedy und Sankt Vith zur wichtigsten touristischen Hochburg Ostbelgiens, weil man hier sämtliche Wassersportarten betreiben kann.
Im Jahre 1995 mußte die Firma Electrabel allerdings noch einmal kräftig in den Bütgenbacher See investieren, weil umfangreiche Arbeiten an der Staumauer unvermeidbar geworden waren. Obschon man anfangs geglaubt hatte, man müsse lediglich eine neue Asphaltschicht und ein neues Geländer anbringen, erwies sich der durch die ständige Überfahrt von Autos entstandene Schaden als erheblich. Aus diesem Grund wurde die Brückenüberfahrt auch für alle Kraftfahrzeuge gesperrt.