Er und der Tod (Teil 1)
ER:
Tod, wo ist denn dein Stachel?
Tod, wo ist denn dein Sieg?
Tod, du brauchst nicht zu lachen,
Tod, ich fürchte dich nie!
TOD:
Na, warte ab, mein Kleiner,
Wenn ich dich erst mal hab'.
In der Stund' hilft dir keiner,
Wenn ich dich hol' ins Grab!
ER:
Du nennst mich : "mein Kleiner",
Obwohl du doch der Schwache bist.
Da ist nämlich einer,
Der mich beschützt vor deiner List!
TOD:
Sprichst du von diesem gewissen Gott,
Der glaubt, er sei der Höchste?
Ich kann nur sagen, dem gilt mein Spott,
Denn ich bin hier der Grösste!
ER:
Das ist nicht wahr, er hat dich besiegt,
Er war dir viel zu schlau!
Dass in deinem Spott der Neid nur liegt,
Das weiss ich ganz genau!
Der Tod verschwindet ...
Nach kurzer Zeit ertönen Totenglocken.
ER:
Was läuten die Glocken
Früh morgens um zehn?
Wir können frohlocken,
Denn einer darf gehn!
Ich hoffe, er war ein guter Christ,
Dann ist er nicht verlorn;
Denn wenn er ein Christ gewesen ist,
Ist er wie neu geborn!
Ist er ein Sünder gewesen,
So kommt er vor Gericht!
Was er versäumt hat im Leben,
Ist fortan unsre Pflicht!
Der Tod erscheint wieder in einer
auffallend siegessicheren Manier.
ER:
Ach, da kommt er wieder,
Der lästige Tod!
Er singt seine Lieder,
Wenn andre in Not!
TOD:
Ich hoffe, du hast ihn gehört,
Der Totenglocken dumpfen Klang.
Jetzt bist du sicher tief empört
Über meinen Freudengesang!
Ich hab' gleich von Beginn an gewusst:
Voll Trauer ist euer Ort.
Für euch war es ein bittrer Verlust,
Ich nahm ihn euch einfach fort!
ER:
Du bist ein Satan, das weiss ich genau,
Doch mir tut dein Handeln nicht weh;
Du trenntest den Mann zwar von seiner Frau,
Trotz all ihres Bittens und Flehns!
TOD:
Eben nahmst du deinen Mund noch so voll,
Jetzt seh' ich's dir an, du bist betrübt!
Ich weiss, es wütet dein innerer Groll,
Obwohl du dich doch so sehr bemühst!
ER:
Ich bin betrübt, da hast du recht,
Doch wein' ich nicht um den, der ging.
Mir ist mit einern Mal so schlecht,
Ich weine um Frau und um Kind!
Doch jeder nehm' es, wie er's gern nimmt,
Ich fühle mich nicht verloren:
Dein Freudengesang klingt recht verstimmt,
Für mich ist ein Mensch geboren!
TOD:
Jetzt verstehe ich gar nichts mehr,
Ich glaube, du bist ein Narr;
Du sagst, geborn ist irgendwer,
Obwohl's ein Sterbefall war!
ER:
Hör zu, du Möchtegerngenosse,
Ich glaube sehr wohl, dass ich als Christ
Darf auf die Auferstehung hoffen:
Eine bessre Welt ist mir gewiss!
TOD:
Du sprichst von einer Auferstehung?
Doch daran fehlt mir der Glaube.
Du schlägst dir nur die Zeit herum
Mit Gedanken, die nichts taugen!
Sieh nur: "Bisher kam noch niemand zurück,
Der von euch geschieden ist;
Und denke daran: Niemand hatte Glück,
Niemand entkam meiner List!
ER:
Du irrst dich, denn einst gab es einen Mann,
Den vermochtest du nicht zu halten:
Nach drei Tagen entkam er deinem Bann,
Du konntest nicht über ihn walten!
Der Tod verschwindet wieder ...
Vier Tage danach (vor der Begräbnisfeier):
TOD:
Hallo, mein edler Kamerad,
Ich seh', du machst dich fein;
Bleib daheim, befolg meinen Rat,
Gleich wirst du traurig sein!
ER:
Nein, ich sehe es als meine Pflicht,
Und deshalb bin ich nun bereit,
Meinem Freund, der plötzlich von uns wich,
Zu geben das letzte Geleit!
TOD:
Ich sage dir, auch ich komme gleich hin,
Um dich mal trauern zu sehn;
Bisher hattest du nur Feiern im Sinn,
Gleich wird's dir anders ergehn!
Der Tod verschwindet erneut, um auf dem Weg
zürn Friedhof wieder zu seinem vermeintlichen
Freund aufzuschliessen. Rings um sie
sieht man lauter trauernde Menschen.
TOD:
Siehst du jetzt endlich dieses grosse Leid?
Auch du bist den Tränen recht nah.
Und ich sage dir, niemand will zur Zeit
Sich freun über das, was geschah!
ER:
Du irrst, du wirst das noch sehn,
Dass wir gar nicht traurig sind;
Wenn wir gleich nach Hause gehn,
Sind alle fröhlich gestimmt!
Sie betreten einen festlich geschmückten Saal.
Viele Leute sitzen bereits an den Kaffeetischen,
und niemand scheint betrübt zu sein.
Nur die Angehörigen stehen leicht abseits
mit Tränen in den Augen.
ER:
Sieh, ich hab' es dir eben gesagt,
Es wird ein tolles Fest;
Die Sorgen werden heute vertagt:
Du siehst ja, dass niemand hetzt!
TOD:
Doch schau in die Ecke, die Freunde des Toten:
Man sieht es, ihr Schmerz ist gross;
Sie gleichen einem Flugzeug ohne Piloten,
Sie kommen nicht von ihm los!
ER:
Es stimmt, ihr Herz, das schlägt heut ziemlich schwer,
Sie fühlen sich sehr allein;
Sie glauben, ihr Leben sei nichts mehr wert,
Es könnt' nicht wie früher sein!
Auch dieses Leid wird bald vergehn,
Wenn sie durch ihr Gebet
Zuflucht finden, weil sie verstehn,
Was in der Bibel steht!
Wenn sie stets weiter an Christus glauben,
Das, mein Freundchen, ja, das sage ich dir,
Wird niemand ihnen die Hoffnung rauben
Auf ein schönres Leben als dieses hier!
TOD:
Ein schöneres Leben - dass ich nicht lache,
Mir scheint, du bist nicht schnell zufrieden;
Du hast doch hier alle möglichen Sachen
Und was dir fehlt, kannst du noch kriegen!
ER:
Du bist wirklich überaus gerissen,
Doch Materielles ist mir nicht genug;
Denn fehlen Frieden, Ehr' und Gewissen,
Dann begeht man doch nur reinen Selbstbetrug.
Sieh, die Zeitung von heut morgen,
Was da steht ist doch fürchterlich:
Mord und Raub und viele Sorgen
Machen das Leben trüb für mich!
Jedoch der Mitmensch, der heute von uns ging,
Kennt fortan nicht mehr diese Schmerzen:
Zu andren Horizonten führt es ihn hin,
Die Seele entweicht seinem Herzen!
Der Tod verschwindet erneut.
Das feuchtfröhliche Gelage geht jedoch weiter.
Später wankt ER angeheitert nach Hause.
Dort wird er schon vom Tod erwartet.
Da ER keine klaren Gedanken fassen kann,
besohliesst der Tod, die Unterhaltung
noch einige Stunden hinauszuzögern.
Am frühen Abend ...
Er ist wieder vollkommen bei Sinnen.
ER:
Was war das heute ein tolles Fest,
Schon lang lachten wir nicht mehr so.
Und alle eingeladenen Gäst',
Die waren am Ende recht froh!
TOD:
Schön fand ich's nicht, was ich dort sah,
Die Freude war nicht gut verteilt:
Die einen warn den Tränen nah,
Die anderen lachten vor Freud'!
ER:
Durch diese fantastische Stimmung
Fanden auch die Trauernden Trost:
Ihr Kummer entwich der Gesinnung,
Für sie war der Tod nicht mehr tot!
TOD:
Doch wenn der Tod nicht mehr tot für dich ist,
Dann sag mir, was kommt danach?
Denn lange besteht schon dieser Zwist,
Ob's besser wird, als es war!
ER:
Das kann ich dir leider nicht sagen,
Denn ich hab es selbst niemals erlebt:
Mir stellen sich die gleichen Fragen,
Ich weiss nur, was in der Bibel steht!
Ein Jüngling wurde einstmals geboren,
Er wuchs auf in gutem Haus;
Für alle, die den Glauben verloren,
Zog er in die Welt hinaus!
Er predigte von Frieden und von der Liebe,
Von Freundschaft, Glück und Brüderlichkeit;
Er verurteilte all die tierischen Triebe,
Die stets vergrössern der Menschen Leid.
Allen, die sein Tun imitierten,
Hat er voll Liebe bezeugt,
Er ginge hin zu reservieren
Einen Platz an Gottes Seit'!
Und in der Tat, als er ging,
Ging er nicht, um lang fortzubleiben:
Drei Tage gingen dahin,
Bis er wieder unter uns weilte!
Wir können uns kein Bild davon machen,
Von diesem zukünftigen Leben:
Du kannst meinetwegen weiter lachen,
Ich kann noch kein Urteil abgeben!
Doch seh' ich all das Böse der Welt,
Bin ich sicher, dass es besser wird
In einer Welt, wo das Gute zählt,
Und wo Frieden allein nur regiert!
Plötzlich hält er inne.
Als er um sich schaut, kann er den Tod nicht mehr sehen.
ER:
Das konnte ich mir ja sofort denken,
Der Tod hörte gar nicht hin:
Die schönen Worte konnt' ich mir schenken,
Dafür hat er keinen Sinn!
Gott, ich dank' dir von Herzen,
Dass du mir Rückhalt schenktest;
Dass du mir nahmst die Schmerzen
Und meine Worte lenktest!
Heute haben wir den Tod besiegt,
Gemeinsam ging das gut;
Wir führten einen verbalen Krieg,
Du gabst mir dazu Mut!
Ich hoff', du stehst mir auch dann noch bei,
Wenn's um mein eignes Leben geht;
Dass du mir auch hilfst in einer Zeit,
Wenn es einmal schlecht um mich steht!
Tod, wo ist denn dein Stachel?
Tod, wo ist denn dein Sieg?
Tod, du brauchst nicht zu lachen,
Tod, ich fürchte dich nie ...
Roger Rauw
29. Januar 1987 - 08. Januar 1990